» Louis Crane, geboren im Jahre 1988 im hübschen Cardiff in Wales, die seiner Meinung nach übrigens die schönste Hafenstadt der Welt ist, hatte ein ruhiges und relativ normales Leben. Sein Vater war Hochseefischer und brachte jeden Morgen tonnenweise Fisch in die Stadt, während seine Mutter neben ihrer Hausfrauentätigkeit eine kleine Schneiderei betrieb. Da kam das Geld hauptsächlich von seinem Vater und obwohl sie nie sonderlich reich waren, hatten sie dennoch alles, was sie brauchten. Vier Jahre nach ihm wurde die Familie mit einer Tochter bereichert, die Louis in den ersten Jahren absolut nicht leiden konnte - sie war laut und stank, sie bekam alle Aufmerksamkeit und sie zog immer an seinen Haaren, außerdem schob sie sich alles in den Mund, was nicht von selber fliehen konnte und das fand er schon irgendwo eklig. Je älter er wurde, desto nerviger wurde seine Schwester. Vor allem, als sie anfing zu laufen und auch noch zu sprechen begann. Im Nachhinein war er sich sicher, dass sein Leben um einiges ruhiger verlaufen wäre, wenn sie nie damit angefangen hätte. Sie war eine Petze Hoch zehn. Natürlich blieb es nicht aus, dass Louis sie immer wieder ärgerte, weil sie sich immer so schön aufregte, aber das Mädchen rannte immer sofort zu ihren Eltern, weil sie genau wusste, dass er dann nicht nur beschimpft wurde, was er gar nicht leiden konnte, sondern auch von seinem Vater regelmäßig eine übergezogen bekam. Das war aber nie wirklich schmerzhaft, da es sich immer nur um einen Klaps auf den Hinterkopf gehandelt hatte, und ihn wirklich daran hindern, seine Schwester zu ärgern, tat es auch nicht.
Aber irgendwann wird auch die nervigste Schwester größer und vernünftiger und das Verhältnis verbesserte sich immens. Und spätestens, als sie in ein größeres Haus umzogen und sich nicht mehr ein Zimmer teilen mussten, waren die beide schon eher wie Freunde als Feinde. Der Nachbarschaftswechsel tat der ganzen Familie gut. Die Schneiderei seiner Mutter war praktisch um die Ecke und sein Vater, der nun lieber in der Verwaltung als in der Hochseefischerei arbeiten wollte, hatte nun auch mehr Zeit, um sich mehr in das Familienleben zu integrieren. Unter den Nachbarn fand er sogar ein paar gute Freunde, mit denen er auch heute noch regelmäßig zum Kartenspielen in Pubs geht. Und Louis erlebte wohl seine erste Schwärmerei für ein Nachbarsmädchen. Aber er war damals viel zu schüchtern gewesen, um sie tatsächlich anzusprechen, weshalb sich sein Kontakt zu Mädchen lange Zeit auf seine beste Freundin Delilah beschränkte, was ihm auch nicht missfiel. Immerhin tickten die beiden sehr ähnlich, denn auch sie war nicht gerade jemand, der sich viel mit dem anderen Geschlecht beschäftigte. Delilah selber hatte er damals nicht einmal als so ein Mädchen angesehen, sie war einfach seine Freundin und im gewissen Maße geschlechterlos. Das änderte sich erst relativ spät, im letzten Jahr der High School, als sie ganz plötzlich die Aufmerksamkeit eines Jungen bekam, über dessen Art sie sich eigentlich immer lustig gemacht hatten. Louis stellte auf unangenehme Weise fest, dass ihm das nicht gefiel, denn auf einmal waren die beiden auch noch ein Paar und er? Er wurde irgendwo zurückgelassen. Zwar sagtem ihm seine Eltern, dass das völlig normal sei in ihrem Alter, aber das sorgte nicht dafür, dass der Schmerz verschwand. Ohne seine beste Freundin fühlte er sich auf einmal nur noch halb vollständig, da sie immer an seiner Seite gewesen war. Jetzt hatte sie neue, coolere Freunde als ihn und er ließ seine Versuche, den Kontakt zu ihr zu halten, bald sein. Nach seinem Abschluss ging er nach Oxford, um zu studieren, was er sich dank eines Stipendiums auch leisten konnte.
Dort traf er sie wieder - seinen ersten Schwarm in Form der Nachbarstochter, die ein Jahr nach ihm ebenfalls nach Oxford kam. Louis, der ein bisschen aus sich herausgekommen war in dem letzten Jahr, nutzte die Gelegenheit, dass sie sich in derselben Unterkunft befanden, und lernte sie kennen, um sie wenig später auf das erste Date seines Lebens einzuladen. Die nächsten drei Jahre waren die beiden ein Paar und auch, als er das Studium erfolgreich abschloss, versprach er ihr, dass sie, sobald auch sie mit ihrem Studium fertig sei, gemeinsam nach London ziehen würden, um da ihr Leben aufzubauen. Und so landete er mit zweiundzwanzig Jahren in London, relativ ausgebrannt, da er alle seine Ersparnisse während seiner Zeit in Oxford ausgegeben hatte. Seine Eltern besorgten ihm eine Wohnung - ohne eine richtige Arbeitsstelle wollte ihm keiner eine Wohnung vermieten, weshalb er auf die Bürgschaft seiner Eltern angewiesen war - und in diese zog ein Jahr später auch seine Jugendliebe mit ein. Das Leben konnte beginnen. Und es begann super! Sie hatten unendlich viel Zeit miteinander, taten alles, was sie wollten, fühlten sich wie die Herrscher der Welt, lebten, liebten. Die Ernüchterung kam bald, als Louis' Eltern irgendwann den Geldhahn zudrehten, da er sich auch zwei Jahre nach seinem Abschluss um noch keinen richtigen Job bemüht hatte und aus der Tasche seiner Eltern gelebt hatte. Nun, mit einem Fuß bereits auf der Straße, zerplatzte die Seifenblase, in der sie gelebt hatten und somit auch ihre Beziehung.
Viel Zeit zum Trauern blieb ihm nicht. Geld musste her, und das möglichst schleunigst. Sein großer Traum war es immer gewesen, irgendwann bei der NASA zu landen, weshalb er sich auch für sein Studium in erster Linie entschieden hatte. Da sich diese allerdings auf einem völlig anderen Kontinent befand, hoffte er auf eine Chance bei der ESA; allerdings hatte er, blind vor Liebe, ausgeblendet, dass die ESA in London keinen Standpunkt besaß. Der nächste war etwa fünfzig Meilen westlich, ganz in der Nähe von Oxford, und bis dahin zu pendeln erschien ihm ziemlich nervenaufreibend. Sein Wunsch, irgendetwas mit der Welt außerhalb der Erde zu tun, schien fürs Erste unerreichbar zu sein, und so nahm er den ersten Job an, der sich ihm anbot; Knopfdrücker in einer Kerzenfabrik. Dank des Mitarbeiterrabatts duftete es in seiner Wohnung auch immer himmlisch nach allen möglichen Dingen.
Die Jahre vergingen, aus vierundzwanzig wurde achtundzwanzig und das Leben nahm seinen Lauf. Ganz ablassen von seinem Traum konnte er nie, weswegen sich Louis, mehr aus Jux heraus, irgendwann bei der NASA für ein Nachwuchsprogramm bewarb und auch angenommen wurde. Er flog nach Texas, machte den zweimonatigen Kurs mit und lernte einiges dazu. Am Ende der zwei Monate bewarb er sich auf eine feste Stelle, aber er wurde abgewiesen mit der Begründung, dass derzeit keine weiteren Kräfte benötigt würden, er solle sich aber immer wieder mal melden, denn generell bestünde schon Interesse an ihm. Der Schlag in den Magen saß und geknickt trat er die Heimreise an, die allerdings wegen eines Blizzards an der Ostküste genau dort endete und erst ein paar Tage später weiter gehen würde. In New York steckte man ihn in ein recht schickes Hotel, welches er aber nicht so richtig verließ, auch wenn er die Stadt gerne besichtigt hätte. Die Enttäuschung saß tief und er wusste nicht, was er als nächstes machen sollte. Zurück in die Kerzenfabrik wollte er nicht, auch wenn er in den letzten Jahren wirklich viel Gefallen an Kerzen gefunden hatte, und sonst fiel ihm nichts ein, was aus ihm werden sollte. Den letzten Abend vor dem Heimflug verbrachte er an der Hotelbar - Alkohol hatte er nie sonderlich viel getrunken, aber an diesem Abend war es ihm, als sei das genau der richtige Ort für ihn. Und wie sich herausstellte, traf er genau die Person, die er in dem Moment vermutlich am meisten gebraucht hatte, ohne es selber zu wissen. Delilah. Zehn Jahre lang hatten sie sich nicht mehr gesehen, aber erkannt hatte er sie sofort. Und es war, als hätten sie sich nie aus den Augen verloren. Sie gingen genauso unbeschwert miteinander um wie in ihrer Jugendzeit, sie redeten wie Wasserfälle - etwas, was auch nur bei ihr passierte, allen anderen gegenüber war Louis eher verschlossen - und nur dank ihr (und dem ganzen Alkohol, den sie vernichteten) fand er den Willen wieder, seinen Traum weiter zu verfolgen, auch wenn er vielleicht in etwas weitere Ferne gerückt war. Am Morgen danach - ihm ging es schlecht wie nie - checkte er aus, ohne daran zu denken, ihr eine Nachricht zu hinterlassen. Erst im Flugzeug, zehn Kilometer über dem Meer, fiel es ihm auf und er ärgerte sich extrem über sich selber. Zwar hatte er ihr erzählt, dass er seit sechs Jahren schon in London lebte, aber die Stadt war wahnsinnig groß und... überhaupt war es doch eher unwahrscheinlich, dass sie nach ihm suchen würde. Und aussichtslos war es sowieso.
Zurück in London kündigte er in der Kerzenfabrik und fand nach einigen Tagen Suche das Mullard, ein Laboratorium etwas außerhalb von London, welches er gut erreichen konnte. Dort wurde er Teil der Forschungsgruppen und ist auch aktuell dort beschäftigt.